Noch heute mutet die Geschichte des Ritters Neidhart, der ein Veilchen findet und es der Herzogin zeigen will – hätten ihm nur nicht die Bauern einen Strich durch die Rechnung gemacht – gleichsam unterhaltsam wie derb an. Seit rund 800 Jahren hält sich die Story um diesen im wahrsten Sinn des Wortes beschissenen Tag im Leben eines Edelmanns in der deutschen Literaturgeschichte. Doch wer war dieser Neidhart, dessen Leben als Minnesänger sich mit seinen Liedern vermischte? Nicht die einzige seltsame Symbiose: Denn als wäre ein realer und ein fiktiver Neidhart nicht genug, so sollte sich im Laufe der Zeit noch ein weiterer hinzugesellen. Neidhart Fuchs nannte sich dieser und wurde als Hofnarr bei Otto dem Fröhlichen vor allem für seine bösartigen Streiche, die er den Bauern in Wien und Umgebung gespielt haben soll, bekannt. Begraben wurden beide Herren – der Spaßmacher Neidhart und der berühmte Minnesänger Neidhart von Reuental – nach neuesten Spekulationen (bei einer Untersuchung der Grabstelle wurden die Knochen von zwei Männern aus unterschiedlichen Zeiten stammend nachgewiesen) im so genannten Neidhartgrab neben dem Stephansdom. Das Leben, so scheint es, schreibt eben immer noch die seltsamsten Geschichten.
Auf die Wand gebannt
Wie beliebt die Geschichten dieser beiden Herren waren, davon zeugen nebst erhaltener Bearbeitungen der Dichtungen auch die Neidhart-Wandmalereien im Haus Tuchlauben 19. An dieser einst vornehmsten Adresse von Wien ließ sich der Wiener Tuchhändler Michel Menschein von uns heute unbekannten Künstlern einen Raum mit Malereien aus dem Leben und den Dichtungen der beiden Neidharts schaffen. Als Laubenherr – Bürger, denen der stückweise Verkauf des in Ballen importierten Tuchs an die Kleinhändler vorbehalten war – gelang es Menschein ein Vermögen anzuhäufen. Sein Geschäft unterhielt er in den Lauben (Arkaden) gegenüber. Noch heute erinnert eine Statuette eines Mannes im Wintermantel auf einem Ofen sitzend an die Bezeichnung des einstigen Gebäudes als Winterhaus. Im Sommerhaus gegenüber wohnte der reiche Laubenherr mit seiner Familie. Der Wert des Hauses für die Familie zeigt sich auch daran, dass es nach der Veräußerung der restlichen in Besitz der Familie befindlichen Häuser, behalten wurde. Hier, im prunkvollen, mit einem Kamin ausgestatteten Festsaal wurde nicht nur gefeiert, sondern wurden auch Geschäfte abgewickelt. Gerne verweilte auch der Adel in derlei prachtvollen Bürgerhäusern oder quartierte, nachdem der Hof zu klein geworden war, seine Gäste in solchen Wohnungen ein.
In freudiger Gesellschaft konnten sich Hausherren und Gäste bei Speis und Trank an den Geschichten, die eingebettet in den Lauf der Jahreszeiten in den Malereien dargestellt wurden, erfreuen. Schneeballschlachten, Schlittenfahrten, herbstliche Bankette nach erfolgreicher Jagd, vergnügliche Ballspiele und so mancher sexueller Übergriff – an den Wänden des Hauses wird der Lebenslust gefrönt. Aber auch die Eitelkeiten und die Selbstüberschätzung der Dümmeren sowie die Geringschätzung der Frauen durch die Männer wurden für die Nachwelt festgehalten. Jahrhundertelang unter Farbe versteckt kamen sie erneut Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zum Vorschein als der damalige Besitzer seine Wohnung renovieren wollte. Der Mann schaltete dankbarerweise das Bundesdenkmalamt ein und Wien war um eine Attraktion reicher. Als älteste profane Wandmalereien der Stadt zeugen sie heute – wie der Veilchenschwank leider nur mehr in Bruchstücken erhalten – vom bunten Treiben im Mittelalter.
Neidhart Festsaal
Tuchlauben 19, 1010 Wien
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10.00 bis 13.00 Uhr und 14.00 bis 18.00 Uhr
www.wienmuseum.at
Teilen mit: